Weiterbauen
„Als das Gasthaus zur Krone nach der Renovierung wieder eröffnet wurde, war die Enttäuschung bei den Laasern groß: Anscheinend war alles beim Alten geblieben, statt einer neuen Einrichtung war wieder die alte Täfelung an den Wänden, die Sessel waren dieselben und der Holzboden war zwar neu, sah aber aus wie der alte. Nur die Theke war ersetzt worden und glänzte in glattem Edelstahl.“*
Dieses Bild von der Wiedereröffnung eines alten Gasthauses zeigt die Ausnahme von der Regel. Wer heute seine Bar, sein Restaurant oder sein Hotel umbaut, tut dies meist radikal: Die alte Einrichtung landet auf der Deponie, die Räumlichkeiten werden erweitert und modernisiert. Dieses Vorgehen erscheint uns durchaus verständlich, – die alten Dinge haben „ausgedient“ und die Modernisierung ist eine sinnvolle Investition für die Zukunft. Oft bleibt ein kleiner Rest von Wehmut, denn mit den alten Möbeln sind auch Erinnerungen an alte Zeiten und Spuren der Geschichte verschwunden. Die neue Einrichtung ist zwar gediegen und auf Maß gearbeitet, doch anonym und auswechselbar. Sie spiegelt das rustikale Image einer Tourismusregion, die ihren rasch erworbenen Wohlstand gerne zur Schau stellt, nicht mehr und nicht weniger.
Das Gasthaus zur Krone hat hingegen seine „historische Tiefe“ bewahrt. Beim letzten Umbau wurden gezielte Eingriffe gesetzt, was erhaltenswert schien wurde hingegen respektvoll saniert. Selbstbewußt steht die neue Bar im Hintergrund des tiefen Gastraumes.
Viele Gäste, die heute zufällig vorbei kommen und Rast machen, sind fasziniert von der Mischung aus Gasthaus und Locanda, ländlich und städtisch, alt und modern, die der schlichte Gastraum vermittelt.
Über Jahrhunderte war das sparsame und erfinderische Weiterbauen am Bestand schlicht eine Notwendigkeit. Der Abbruch war aufwendig und der Abtransport von Bauschutt mühevoll, daher wurde vorhandenes Baumaterial so weit wie möglich wieder verwendet. Auf diese Weise hat die Ökonomie der Mittel zu einer Kontinuität des Bauens beigetragen: Bei näherer Betrachtung erweist sich die Baugeschichte als eine Geschichte des ständigen Umbaus, die sich aus den kleinen und großen Eingriffen verschiedener Epochen zusammensetzt. Die Summe der historischen Schichten verleiht dem Altbau schließlich seine Unverwechselbarkeit, sie ist der „Fingerabdruck seiner Geschichte“*.
Erst im 20. Jahrhundert öffnen sich, als Folge der industriellen Revolution, auch im Bauprozeß neue Möglichkeiten: neue Baustoffe stehen zur Verfügung und es werden Maschinen entwickelt, die ein enormes Arbeitspensum in kurzer Zeit bewältigen können. Neue Quartiere und ganze Stadtteile schießen aus dem Boden, Dörfer und Städte beginnen sich rasch auszuweiten. In Analogie dazu verliert der Altbestand an Wert, – nicht nur materiell sondern vor allem auch ideell. Während modernes Wohnen wird mit gesunden, hellen, offenen Räumen gleichgesetzt wird, gelten Altbauten als feucht, schlecht belichtet und daher ungesund. Diese Wertung ist tief verwurzelt und wirkt bis heute fort, auch wenn der Glaube an den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts mehrfach gebrochen wurde.
Das Ergebnis dieser Entwicklung zeigt sich im Wohlstandsland Südtirol besonders deutlich: In manchen Dörfern sucht man heute bereits vergeblich nach einem historischen Kern und in den Städten stehen von vielen Laubenhäusern nur mehr die Fassaden. Sie sind der gesellschaftliche Konsens, die romantische Kulisse, hinter der sich Geschäfte und Kaufhäuser breit gemacht haben. Vordergründig soll der Schein gewahrt bleiben, ebenso wie sich die Neubauten in den Dörfer als „falsche Bauernhäuser“ zu maskieren suchen.
Was hier entsteht ist vom potemkinschen Dorf nicht weit entfernt, – fein herausgeputzt, doch letztlich eine Täuschung. In den letzten Jahren wächst das Unbehagen und je mehr an Vielfalt und Einzigartigkeit verloren geht, desto vehementer wird die Erhaltung und Nutzung historischer Bauwerke gefordert. Gegensätzliche Interessen prallen aufeinander: Platz schaffen für Neues, Größeres, Besseres steht gegen Bewahren, Sanieren, Modifizieren. Was früher leichthin getan wurde, wird heute hinterfragt, das Umdenken hat schon begonnen. Wer sich vom Dogma des unerbittlichen Fortschritts löst, kann in der intelligenten und umsichtigen Adaptierung des Bestandes eine Alternative erkennen. Die Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz ist sicher keine einfache Aufgabe für Bauherrn und Architekten. Am Beginn des Entwurfsprozesses stehen die Achtung und das Verständnis für das Vorgefundene. Gerade die Beschränkungen, die der Bestand dem Planer auferlegt führen jedoch oft zu neuen, zeitgemäßen und unkonventionellen Lösungen.
* Waiz, Susanne in Zusammenarbeit mit Galerie Lungomare: Auf Gebautem bauen, Im Dialog mit historischer Bausubstanz, Eine Recherche in Südtirol, Wien/Bozen 2005 (Folio)
i* Gürtler Berger, Theresia: Im Reich der Zeiten, archithese 2/98
Diesen Artikel finden Sie auch im gedruckten Baufuchs 2007
Fachautor
Arch. Susanne Waiz
freischaffende Architektin
Bahnhofallee 3
I-39100 Bozen
Tel. 0471/97 9000
Fax. 0471/326 364
studio.waiz@dnet.it
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Energiehaushalt
Wer heute neu baut, wird sein Haus gut dämmen: die höhere Investition zugunsten der Wärmedämmung wird durch niedrige Heizkosten in den Folgejahren eingespielt, – eine Hypothek, die sich mit der Zeit abbaut. Bei schlecht gedämmten Häusern ist es umgekehrt, sie werden in Zukunft steigende Heizkosten verursachen. Alte Häuser sind meist weit entfernt von jedem Klimahausstandard: Sie sind oft schwer zu beheizen und zum Teil sogar unwohnlich und gesundheitsschädigend.